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Ein Beitrag von Christin Löhner

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Helfen ist einfach, sagten sie. Helfen kann jeder, sagten sie. Hilf, indem Du zuhörst, sagten sie. Hilf, indem Du da bist, sagten sie. Doch das es doch so schwer, ja beinahe unmöglich wird, sagte mir niemand. All dieses Leid, all diese Traurigkeit, all diese Aufgabe statt Hingabe.

Ich habe sehr, wirklich sehr viel Scheisse durchgemacht. Wer meine Autobiographie gelesen hat, weiß das – sofern man mir die Erzählungen glaubt, was scheinbar auch nicht jeder tut. Aufgrund dieser ganzen Erlebnisse, dem falschen Geschlecht, dem Mobbing, den Schlägen, der Transsexualität, den Vergewaltigungen, der Drogenvergangenheit, der Prostitution, etc. habe ich sehr starke Depressionen entwickelt, Todessehnsucht, Suizidgedanken und -Versuche. Ich habe Borderline (eine posttraumatische Persönlichkeitsstörung) entwickelt.

Dann endlich, im Oktober 2015, habe ich mich als Frau mit Variante der Geschlechtsentwicklung (Trans*- oder Inter*Geschlechtlichkeit) endlich geoutet. Seit diesem Zeitpunkt an, bin ich direkt von 0 auf 100 nur noch als Frau herum gelaufen, habe mich geschminkt, gestylt, schick angezogen und meine Bewegungen entsprechend angepasst. Und von diesem Zeitpunkt an, war ich plötzlich glücklich! Glücklich mit mir selbst, Zufrieden im Inneren und mit meinem Körper.

Durch mein Coming Out und die Hormone, durch das Wissen, endlich die Frau sein zu dürfen und zu können, die ich eigentlich schon immer war, nur dadurch habe ich es geschafft, mein Borderline und meine Depressionen, meine Suizidgedanken, so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass sie mich im Alltag kaum noch belasteten. Das ging sogar so weit, dass ich regelrecht überschäumte vor Liebe, Zuversicht, Glück, Zufriedenheit, Mut und Stolz.

So weit, dass ich endlich auch anderen Menschen helfen wollte – und konnte.

Im September 2016 habe ich deshalb meine Selbsthilfegruppe, die Trans* SHG Hegau gegründet und eröffnet. Und plötzlich waren da über 50 Personen! 50 Personen, die alle Hilfe brauchten und von mir bekamen. Hilfe in Form von Hilfe zur Selbsthilfe. Hilfe in Form von Zuhören, Da sein. Hilfe in Form von Beratung und Ratschlägen. Hilfe in Form von Begleitung und Hilfe zur Antragstellung. Hilfe in Form von – allem, was ich geben konnte!

Aber das war mir noch nicht genug. ich wurde Peerberaterin und Begleiterin von an die Hundert Personen mit Variante der Geschlechtsentwicklung Deutschland weit. Ich baute meinen Verein auf und es folgten drei weitere Selbsthilfegruppen in Baden-Württemberg und darüber hinaus. Nebenbei schrieb ich meine Autobiographie, mit der ich ebenfalls meine eigene Vergangenheit aufarbeitete und verarbeitete. Dies alles neben einem Vollzeitjob als Programmiererin.

Im Laufe dieser fast drei-einhalb Jahre, habe ich drei Menschen nachweislich das Leben gerettet und vier geliebte Menschen – einschließlich meines eigenen Vaters – aber auch verloren (R.I.P. Papa, 20.05.2017). Ich habe unzähligen Menschen geholfen, die seit dem glücklich sind, mich zu kennen und mir ihre Dankbarkeit ausgedrückt haben. Dieser Dank tut mir unglaublich gut und ist tausend Mal mehr wert, als alle Reichtümer dieser Welt.

Mindestens zwei oder drei Personen auf Facebook werden nun wieder ganz laut „Narzzisstin“ schreien, weil sie den Unterschied nicht sehen zwischen Prahlerei und einleitender Tatsachenerklärung für das nun Folgende…

Jeden Tag wird das Gefühl intensiver, die Welt doch nicht verändern zu können. Jeden Tag wird der Zweifel größer, ob ich wirklich anderen Menschen so sehr helfe wie ich es mir wünsche. Jeden Tag wird die Angst größer, das doch alles umsonst war.

Drei meiner liebsten Freundinnen machen zur Zeit eine wirklich sehr schwierige und schwere Zeit durch.

Die Eine leidet unter anderem an Multiple Sklerose (MS) im Endstadium, sowie an Fibromyalgie und hat nun, nach dem sie gar nicht mehr aus dem Bett heraus kommt und teilweise nicht einmal mehr ihr Smartphone halten kann, berechtigte Todesangst.

Die Zweite hat sich freiwillig in eine psychiatrische Therapie begeben, nach dem sie verstanden hat, dass sie sich wegen ihrer Depressionen, ihrer Todessehnsucht und ihren Suizidgedanken Hilfe holen muss.

Und die Dritte spricht auch bereits von Suizid und Selbstmord, weil sie kein Ende ihres langen Leidensweges durch die Transsexualität sieht.

Ich schreibe und spreche beinahe jeden Tag mit einer von ihnen, spreche ihnen Mut zu und meinen Respekt, wie stark und Stolz sie doch sind und wie sehr ich es mir wünsche, dass es jeder dieser Drei Frauen bald wieder besser geht. Eine dieser drei Frauen bedeutet mir ganz besonders viel. So viel, das es unglaublich weh tut, ihre Bilder zu sehen, ihre Depressionen und ihre Todessehnsucht so sehr mit zu bekommen. Und doch will ich genau das! Denn nur so kann ich ihr nahe sein, sie verstehen und ihr beistehen, ihr helfen!

Nebenbei wird mir dann von verschiedenen Menschen, inzwischen auch aus meiner eigenen Selbsthilfegruppe, vorgeworfen, ich sei selbstherrlich, selbstverliebt, könne keine Kritik vertragen oder würde meine Fetische zu sehr nach außen kehren, obwohl ich doch eigentlich nichts mehr möchte, als einfach nur jedem zu helfen.

Ich merke so langsam, wie das an meinen Nerven, an meinem Selbstbild, an mir zerrt. Ich merke, wie ich drohe aufzugeben. Ich ertappe mich dabei, wie ich darüber nachdenke, einfach alles sein zu lassen und nur noch mein eigenes leben zu leben. Vermutlich würde ich vielleicht fünf oder sechs Menschen damit einen Gefallen tun. Doch was ist mit den anderen 144 Menschen?

Versteh mich bitte nicht falsch, ich will helfen. Ich will anderen Menschen helfen, mich für sie aufopfern und für sie da sein. Doch sehe ich langsam, dass es kein Ende gibt. Ich sehe langsam, dass meine Bemühungen bei der einen oder anderen Person nicht anzukommen scheinen. Ich sehe, wie mein Zuspruch, mein Respekt, meine besten Wünsche, meine Freundschaft eben scheinbar bei der Einen oder dem Anderen nicht hilft.

Sicher, ich kann keine MS heilen. Aber ich kann da sein und ich kann versuchen zu helfen. Ich kann da sein und beten. Ich kann da sein und Ratschläge geben. Doch die Welt verändern, das kann ich nicht. Ich kann keine Psyche umprogrammieren, Suizidgedanken wegwischen, aus einem depressiven Menschen einen Glücklichen machen.

Und das tut mir weh. Das macht mich hoffnungslos. Das lässt mich verzweifeln. Das macht mich ängstlich in naher Zukunft noch mehr geliebte Menschen zu verlieren, obwohl ich alles dafür getan habe, das es nicht dazu kommt. Obwohl ich immer versucht habe, für sie da zu sein. Obwohl ich mein Möglichstes getan habe, um zu helfen.

Ich sitze hier im Büro und mir laufen die Tränen herunter, weil ich an diese drei Menschen denken muss und zu Gott bete, dass es ihnen allen bald besser geht und das es eben doch nicht umsonst war………

Es ist alles so extrem schwer geworden….

 

Credits: Das Titelbild wurde in den letzten Tagen von Elena Ehret gezeichnet. Elena ist eine herausragende Künstlerin, Malerin und Zeichnerin und ich liebe sie! Elena hat einen eigenen Blog, auf dem sie mehr ihrer Bilder präsentiert: https://elen-art.de/

 

 

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2 Comments

  1. Ich lese deine Zeilen und es macht mich traurig , traurig dich nicht unterstützen zu können und auch traurig das wir uns mit Themen wie Krankheit, altern , Abschied nehmen und Trauer auch in der Community so wenig ( oder gar nicht ) beschäftigen . Vielleicht sind diese Themen zu ernst……. Ganz liebe Grüße Lisa.

    1. Danke, liebe Lisa. Ach, das ist nur mal ein seelischer Tiefpunkt, wie ihn jede*r mal hat. Momentan nimmt das aber auch echt überhand. Es wird auch wieder besser. Und ich gebe natürlich nicht auf. Ich werde weiterhin für jede*n da sein. Egal, was andere sagen. Liebe Grüße Christin

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